Zeit: Am Tag nach dem Picknick
OT-Bemerkung: Ich weiß nicht, wer sich hier von den Gestrigen herumtreibt, deswegen lasse ich soweit alles erst einmal offen.

Friedrich erwachte mit einem leisen Laut zwischen Stöhnen und Grummeln. Ein unbekannter, nicht sehr großer Raum. Für einen kurzen Moment der Verwirrung glaubte er, im Schlaf in eine Zelle gesperrt worden zu sein, aber dann wurde ihm das Licht bewusst, das zwischen den Fensterläden in den Raum drang - und in einer Kerkerzelle hätte er auch keinen hübschen, bildhaften Wandbehang erwartet. Er war also Gast und kein Gefangener.
Erst, als er sich langsam aufrichtete, kamen ihm die Ereignisse des letzten Tage zu Bewusstsein, und ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, wie bei einem Kind, das ein viel zu schönes Geschenk bekommt. Er schloss die Augen und dachte an den Moment, wo die namenlose Furcht, die er in den Stunden zuvor empfunden hatte, von ihm abfiel: "Und ich die Eure!" Niemand sah die feucht glänzenden Augen des Freiherrn; die Verse "Dass du mich solltest so erhöhen / hoffen hätt' ich's nicht gewagt" im Lied für Isabeau war keine höfische Koketterie gewesen - tatsächlich hatte er in der Zeit nach den Tagen in Gratenschön nicht geglaubt, nicht für möglich gehalten, dass die Tochter eines souveränen Fürsten gerade ihn erwählen würde. Sie hatte es aber getan, bei allen Göttern...
Ein Diener kam mit Krug, Seife und Schüssel herein, wünschte freundlich einen guten Morgen und wurde mit einem Lächeln wieder entlassen. Der Kopf Friedrichs von Falkental war etwas schwer von der langen Nacht und den vielen Getränken, aber nach Rasur (er tat das immer lieber selbst) und Wäsche fühlte er sich schon wieder etwas lebendig. Eine Mittagssonne, nicht weniger grell als die vom Vortag, ließ ihn rasch die Augen schließen. Als er sich an das Licht gewöhnt hatte, konnte er im Hof Waffenvolk bei Formationsübungen sehen. Er beobachtete, wie sich die Gruppe verstreute, um dann auf Befehl des Kommandanten in ordentlicher Geschwindigkeit wieder Formation aufzunehmen. Etwas mehr Präzision in der Ausrichtung wäre gut gewesen, aber Friedrich sagte sich, dass er sich glücklich schätzen konnte, wenn das komplette Aufgebot des loyalen Eppstein in so guter Verfassung und Ausrüstung stand. Schon jetzt begann er, in seinem Kopf Schlachtordnungen zu erwägen, angepasst an verschiedene Angriffsszenarien, mit denen er nach Lage der Dinge rechnete. Er musste unbedingt das Eppsteiner Gelände erkunden, die Kampfweise und Stärke Sembias kennenlernen und sich einen Überblick über das Eppsteiner Aufgebot verschaffen. Aus dem Fenster konnte er den Eppsteiner Dachs im Winde flattern sehen - anscheinend, sagte er sich schmunzelnd, hatte sich seine Frischverlobte nicht ohne ihn auf den Weg zur heimischen Burg gemacht.
Wenn sich tatsächlich eine Einkreisungssituation zwischen Hirschhausen und Sembia ergeben sollte, war eine alte strategische Weisheit der Schlüssel zum Erfolg: Wer sich in der Verteidigung sieht, muss darauf hinarbeiten, zum Angriff oder wenigstens zum Gleichgewicht zu kommen. Das zu bewerkstelligen würde die große Aufgabe der Eppsteiner Seite sein...und dafür war es notwendig, eine der Seiten auszuschalten oder entscheidend zu schwächen. Wie das zu machen sein würde, würde sich aus dem Verlauf ergeben müssen. Die Kunst des Vorgehens, die ars operationis...
Friedrich legte eine eher alltägliche Tunika in sattem Grün an, gürtete den Dolch um und setzte einen blauen Hut auf, um sich dann zum Saal aufzumachen, in der Hoffnung, noch ein Frühstück zu bekommen. Sein Gang war wie meistens etwas schleppend im rechten Fuß, aber der Edelmann lächelte in sich hinein und pfiff immer wieder Stücke einer Melodie, jener Melodie, die er sich gestern zur Begleitung eines völlig verstimmten Instrumentums abgerungen hatte. Isabeau hatte es immerhin gefallen, und war das nicht das Wichtigste?